Montag, 30. Mai 2011

Zu jung, zu alt... egal!

...nach und nach kamen die ersten Mails mit den Fragebögen zurück. Nach ca. einer Woche konnte ich die Bilanz ziehen: Nur 30% der angeschriebenen Models wären bereit bei allen Themen fotografiert zu werden. Es fielen Argumente wie: "Meine Figur ist nicht für erotische Aufnahmen geeignet.", "Ich möchte nicht, dass mein Chef mich nackt sieht.", "Ich trau mich nicht... nein, ich schäme mich!" und das lustigste Argument war: "Ich bin doch zu alt für Erotik - sollen das mal die Jüngeren machen!"

Manchmal gibt es Paradoxen im Leben, die mich sehr amüsieren. Die einen sind zu jung, zu dick, zu schüchtern und die anderen zu alt und lassen gern den Jüngeren den Vortritt. Die Jüngeren wollen aber gar nicht! Herrlich.

An die Alten und an die Jungen: Nutzt die Chance verdammt nochmal Erotikbilder machen zu können!!! Es ist KOSTENLOS und EINMALIG!!! 

Einige waren schlau und wollten bei jedem Thema mitmachen! 

Natürlich kam die Frage: "Lässt du dich auch fotografieren?" - Grundsätzlich ja. Da ich aber schon als die Projektinitiatorin sehr im Vordergrund stehe, möchte ich mich in dem fotografischen Bereich etwas zurückziehen. Hin und wieder mal übernehme ich "kleine Shoots", bei denen es eigentlich egal ist, ob ich es nun bin oder jemand anders. Zum Beispiel das Shooting in einer Umkleidekabine! Oder zu dem Thema "Reisen mit der Deutschen Bahn" - wundervoll. 

Vielleicht werde ich mich jeweils 1x in jedem Themenbereich fotografieren lassen. ICH bin ja nicht blöd - ich ergreife jede Chance! :-) 
Ich versuchte die Models zu überzeugen. Ganz einfach mit dem Mittel der puren Ehrlichkeit: Die geplanten Erotikaufnahmen haben NICHTS mit dem Playboy zu tun! (Schade eigentlich...)

Nun sind es 50%, die bei allen Themen mitmachen würden. Ich bin stolz auf mich und meine Überzeugungskünste. 

Fotografen sind beisammen und die Models wollen endlich bald fotografiert werden. So weit sind wir ja schon mal.

Überzeugen ist alles

Der erste Punkt in meiner geliebten To-Do Liste war: Models anschreiben und überzeugen. Ich wusste, dass es bei manchen nicht einfach sein wird. Da ich selbst daran erkrankt bin, gehe ich von mir selbst aus - und damit liege ich meistens richtig. Ich wusste, dass alle bereit sein werden bei den Themenbereichen "Portrait" und "Lifestyle" mitzumachen; "Emotionales" wäre auch noch kein Problem. Aber bloß keine erotischen Aufnahmen! Schließlich ist der Körper zu krumm und zu schief, die Arme und Beine zu dünn, die Füße zu dick und...

Ich guckte meine Handy- und Facebook-Kontakte durch und hatte somit schon über zwanzig Models zusammen. Die jüngste ist fast 16 Jahre alt, die älteste 50. Die Meisten lernte ich bei den Rehamaßnahmen kennen. Die anderen waren plötzlich in meinem Leben. "Man kennt sich halt."

Damit die Models gleich ihre Wünsche äußern konnten und beim Shooting keine Konflikte entstehen, habe ich einen Fragebogen entworfen.Unter anderem waren solche Fragen zu beantworten:


Wenn du bei einem Thema nicht fotografiert werden willst, warum?

Hättest du grundsätzlich ein Problem damit von einem männlichen Fotografen fotografiert zu werden? Wenn ja, warum?

Wärst du damit einverstanden, dass deine Bilder in einer Ausstellung und einem Buch gezeigt werden würden? (Auch in Prospekten, Zeitschriften, Internet und Fernsehen)

In welchen Lebenssituationen siehst du deine Einschränkungen besonders? (z.B. Job, Alltag, Familie, Partnersuche etc.)

Hast du besondere Wünsche bei den Fotoshootings? Möchtest du etwas Besonderes ausdrücken, sagen, zeigen? 


Da ich neben der Organisation des Projektes noch beruflich tätig bin und hin und wieder mal meine sozialen Kontakte pflege, schreibe ich solche Texte und Fragebögen meistens spät abends oder sogar nachts. So auch in diesem Fall: Wieder musste eine Nacht vergehen bis ich Reaktionen der Models, von denen einige meine Freundinnen sind, erwarten konnte.

Nebenbei erstellte ich schon mal eine Kontaktliste - für die Models, die mir zusagen werden.

Ich war mir meiner Sache sehr sicher, ich wusste nur: Bei manchen muss man eben etwas nachhelfen... Wird schon.

Die Qual der Wahl

Erwartet habe ich nicht viel, eher habe ich gehofft. Doch das was kam, hat mich beinahe erschlagen.

Am nächsten Morgen nach dem Inserat waren über zwanzig E-Mails in meinem Postfach und fünf verpasste Anrufe auf meinem Handy. Ich konnte es nicht fassen. Künstler, Studenten und Journalisten schrieben mir über ihr Interesse an meinem Projekt, das zunächst als "AnderSchön" ausgeschrieben war. Sie wollten alle daran teilnehmen - und das unentgeltlich! Da musste doch ein Haken dran sein, dachte ich. War dem aber nicht so.

Also lud ich die Meisten zu einem Kennenlerntermin ein. Ich ging dabei zunächst lediglich nach den Portfolios, die mir zugeschickt wurden. Wunderbare Menschen, wunderbare Bilder, daraus könnte was werden.

Was zunächst eine Begeisterung war, schlug schnell in ein "Ich kann nicht mehr..." um. Ich konnte tatsächlich irgendwann nicht mehr das Gleiche erzählen und das Gleiche fühlen während ich erzählte. Mir war bewusst, dass ohne meiner eigenen Überzeugung und ohne meiner Begeisterung wird das niemals so werden wie ich es mir einst gewünscht habe. Ich versuchte mich zusammenzureißen.

In nur einer Woche, genau sieben Tagen, habe ich acht Fotografen kennengelernt. Sie alle waren auf ihre Art und Weise gut und talentiert, aber nicht alle waren für das Projekt geeignet. Mir wurde immer klarer wonach ich suche, worauf ich Wert lege. Es sollte neben der fotografischen Kompetenz auch ausreichend Erfahrung vorhanden sein, denn allzu viel Zeit zum "Ausprobieren" habe ich nicht. Ein Jahr, das für die Aufnahmen angedacht ist, geht unheimlich schnell vorbei. Seit den Kennenlernterminen sind allein schon zwei Monate vergangen. Ebenso war mir die menschliche Ebene wichtig. Wenn ich persönlich jemanden nicht mögen würde, dann könnte ich mit der Person nicht als Team fungieren. Es musste passen.

Die Auswahl des Fotografenteams war dann doch schneller als ich dachte. Es sind nun drei Fotografen und eine Fotografin, die mich bei dem Projekt unterstützen werden. Man könnte es so sagen: Ich habe die unzähligen Ideen und bin für die Organisation der einzelnen Shootings zuständig, doch die schwierigste Arbeit liegt bei den Künstlern. Sie müssen die Fähigkeit haben sich auf eine gehandicapte Frau einzustellen, sie in einem richtigen Moment zu fotografieren, so dass es an dem Thema nicht vorbeiläuft. Der Betrachter des Bildes sollte verstehen können was ich sagen wollte und die Emotionen haben, die ich hervorrufen wollte.Und das war bei den Vier nicht schwierig. Schon nach einem kurzen Gespräch merkte ich: "top" oder "flop".

Zu dem "Top"-Team gehören nun:
  • Mike Bikadorov
  • Jessica Prautzsch
  • Kay Schulz
  • Steffen Gottschling 

Eine Woche später, anfang April, vereinbarten wir ein Kennenlerntermin. Ein Team muss sich kennen und sich untereinander verstehen, nur so kann es funktionieren. Alles wunderbar.

Und nun? Wie soll es weiter gehen? Die Ideen standen mehr oder weniger fest, ich notierte sie mir ständig - träumte sogar davon. Ich sah mich in der leeren Ausstellung, ich sah mich in einer überfüllten Galerie, gelobt und kritisiert. Man muss wissen: Ich bin eine Perfektionistin. Was die Sache übrigens nicht viel leichter macht.

Ich begann mir meine geliebte To Do - Liste zu schreiben.

Die Arbeit wurde immer mehr und mehr und mehr... Wann und mit wem soll nun das erste Shooting endlich stattfinden?!

Sonntag, 29. Mai 2011

Die Geburt einer Idee


Es war nachts, wahrscheinlich schon fast morgens, als ich wach im Bett lag und nachdachte. 
Die Lungenentzündung war überlebt, hinterließ jedoch sichtbare Spuren. Der Körper war um einiges geschwächt und das war der Moment in dem ich beschloss mit dem Rauchen aufzuhören. 
 Ich wollte ein neues Leben beginnen. Ich wollte mich gesünder ernähren, früher schlafen gehen und früher aufstehen. Ich wollte nie wieder einen Tag schlechtgelaunt im Bett verbringen und mich über das „ungerechte Leben“ ärgern. Ich wollte mehr zu klassischen Konzerten gehen, öfter das Theater besuchen und mehr lesen. Ich war durstig nach dem Leben und dem Wissen… und obwohl ich schon immer viel gemacht und eine Menge im Leben erreicht habe, so schien es mir in dem Moment nichts zu sein. Die gemachten Abschlüsse, das Management der persönlichen Assistenz… es war zu wenig. Damit habe ich nicht viel bewegt und schon gar nicht verändert. Ich habe lediglich das genommen, was jemand hart erkämpft hat. Wie schwach!
 
Gleich nach dem Aufstehen schrieb ich los: „Mein Name ist Anastasia Umrik, ich bin 24 Jahre alt und an Muskelschwund erkrankt. Ich möchte ein Fotoprojekt starten, bei dem Frauen mit Muskelschwund in den Themenbereichen „Portrait“, „Emotionales“, „Lifestyle“, „Erotik“ und „Provokantes“ fotografiert werden sollen. Ziel des Projektes ist es, das Denken der Menschen ein Stück weit zu verändern, den Blick über den Tellerrand zu ermöglichen.  Mit den Fotos soll eine Ausstellung gemacht werden. Es wäre schön, wenn ihr es unentgeltlich machen würdet, weil bisher keine finanziellen Möglichkeiten bestehen das Projekt zu finanzieren. Wer hat Lust und Zeit?“ So oder so ähnlich lautete die Anzeige, die ich im Internet aufgab. 

Die Idee des Fotoprojektes bestand schon lange. Ich erzählte davon einigen Bekannten und Freunden, die Resonanz war positiv, jedoch auch die Skepsis war nicht zu überhören. Wer soll das finanzieren? Wie soll das organisiert werden? Wer ist für alles verantwortlich? Was soll damit erreicht werden? Und: Wozu? Das Projekt wurde verschoben, zu groß war meine Angst zu scheitern. Doch die Idee lebte weiter und wartete nur auf den richtigen Zeitpunkt des Ausbruches. 

Als ich in der besagten Nacht mich dazu entschloss das Projekt in Eigenregime durchzuführen, hatte ich immernoch keine Ahnung wie das alles werden wird, wer das bezahlen soll, wer mitwirken soll. Ich wusste nicht wen ich suche, welchen Anspruch ich habe. Ich wusste nur, dass ich etwas bewegen muss. Wer wenn nicht ich?

So hat alles begonnen.